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Gefährliche Bioaerosole

Bioaerosole in der Landwirtschaft haben Bedeutung für Mensch und Umwelt

Um unserer „Bürgerinitiative für die Werterhaltung der Region Billerbeck“ (BIB) ein objektiveres Bild vom Stand der Forschung zu Bioaerosolen in der Landwirtschaft zu verschaffen, haben unsere Mitglieder Bernadette und Hermann Branse am VDI-Expertenforum teilgenommen, das am 30.09. und 01.10.2014 in Berlin von der Kommission Reinhaltung der Luft im VDI und vom DIN–Normenausschuss KRdL veranstaltet wurde. Laut den Organisatoren war unsere Bürgerinitiative die erste, die sich in einem Normenausschuss des VDI bei den sachkundigen Fachleuten über den derzeitigen Stand der Forschung informiert und die Forschungsprojekte mit den Fachleuten diskutiert hat. Dieser Umstand wurde auch vom Vorsitzenden der Veranstaltung Prof. Dr. med. Eikmann im Schlusswort – nicht zuletzt wegen der öffentlichen Relevanz dieser komplexen Problematik - ausdrücklich gewürdigt.

Das Thema „Bioaerosole in der Landwirtschaft“ betrifft nicht nur Landwirte, sondern uns alle, weil aus den zahlreichen Viehställen unserer Region mit intensiver Tierhaltung große Mengen luftgetragener Partikel biologischer Herkunft (Bioaerosole) in die Umwelt gelangen. Diese Partikel können mit vielen Schadstoffen wie z. B. Schimmelpilzen, chemischen Substanzen, Bakterien etc. beladen sein. Da in den Bioaerosolen zunehmend auch gegen Antibiotika resistente Bakterien aufgefunden werden, stellen Bioaerosole eine wachsende und nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle für uns Menschen dar.

Als wesentlicher Erkenntnisgewinn aus der Veranstaltung ergab sich, dass trotz 15-jähriger Forschung noch viele Fragestellungen zur Ausbreitung der Bioaerosole und deren gesundheitliche Wirkungen offen sind. Fest steht aber, dass mit Bioaerosolen belastete Luft in den Ställen der Massentierhaltung nicht gesund ist. Objektiv durch Studien nachgewiesen wurde, dass etwa 30 % der Lungen von Tieren aus Massentier­haltung schwer geschädigt sind. Zudem ist gesichert, dass bei vielen Landwirten häufig Erkrankungen der Atemwege auftreten und ca. 20 % der Landwirte wegen solcher Erkrankungen vorzeitig aus dem Beruf gehen müssen. Als Konsequenz aus der komplexen Problematik der Bioaerosole hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen sollte nach Ansicht des Expertenkreises bei der Formulierung der Richtlinien zu den Bioaerosolen der Vorsorgegrundsatz Anwendung finden.

Bericht aus Berlin

VDI-Expertenforum am 30.09. / 01.10.2014 im Deutschen Institut für Normung e.V.

 

Bioaerosole in der Landwirtschaft – Bedeutung für Mensch und Umwelt

 

120 Teilnehmer aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein, Thüringen und Österreich - Bereiche:

-        Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung

-        Landesämter für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume

-        Landesämter für Natur und Verbraucherschutz

-        Freie Universität Berlin - Institut für Tier- und Umwelthygiene

-        Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. Darmstadt

-        Regierung von Oberbayern-München

-        Amt der oberösterreichischen Landesregierung

-        Hochschule Hannover - Tiermedizin

-        Universitätsklinikum Gießen – Hygiene- und Umweltmedizin

-        Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft Berlin und Niedersachsen

-        Staatliches Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim

-        NABU Berlin

-        BIB-Bürgerinitiative für die Werterhaltung der Region Billerbeck

 

Programmausschuss und Referenten:

-        Prof. Dr. med. Thomas Eikmann, Universität Gießen (Vorsitz)

-        Dr. Isabelle Franzen-Reuter und Dipl. Ing. Jochen Theloke, Normenausschuss KRdL (Kommission Reinhaltung der Luft) im VDI und DIN Düsseldorf

-        Dr. Andrea Gärtner, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW Essen

-        Dipl. Ing. Ewald Grimm, Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. Darmstadt

-        Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Hartung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

-        Dipl. Ing. Volker Kummer, Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie Wiesbaden

-        Dr. Irene Tesseraux, Landesamt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg Karlsruhe

Weitere Referenten: siehe KRdL – Schriftenreihe 48  (Vorträge der Referenten)

 

Ziel: Die KRdL wollte -nicht zuletzt wegen der öffentlichen Relevanz dieser komplexen Problematik-

         eine neutrale Plattform zur Diskussion bieten und einen Beitrag zur Versachlichung leisten.

 

Programm / Themen im Überblick:

-        Stand der aktuellen Bioaerosol-Forschung und Entwicklungen in der Ausbreitungsrechnung

-        Indikatorbakterien in der Luft von Geflügel- und Schweinehaltungen

-        Methoden zur Detektion von Bakterien (Gesamtzellzahlbestimmung) in Emissionen aus Hähnchenmastanlagen

-        Aktuelle Messprojekte in Sachsen, NRW und Bayern

-        Erste Ergebnisse von Bioaerosol- Immissionsmessungen an einer Geflügelmastanlage im Münsterland

-        Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Bioaerosol-Immissionen (Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz)

-        Bioaerosole in Genehmigungsverfahren (Erfahrungen in NRW und Kreis Emsland)

-        Gesundheitsbezogene Beurteilungswerte für Bioaerosole

-        Vermeidung/Minderung der Bioaerosole im Stall (Abluftreinigungsanlagen)

-        Aktuelle Beratungsprojekte in NRW-Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband e.V. Münster: Tiergesundheit verbessern, Einsatz von Antibiotika verringern

Auszüge aus der 2-tägigen Veranstaltung:

 

-        In den letzten 15 Jahren wurden zahlreiche Richtlinien erarbeitet, die bei Genehmigungsverfahren herangezogen werden können. Zum 30.11.2014 soll die ergänzende VDI Richtlinie 4255 Blatt 3 verabschiedet werden. Den aktuellen Stand findet man unter www.vdi.de/bioaerosole

-        Der Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Bioaerosol-Immissionen (Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz) kann in baurechtlichen Genehmigungsverfahren herangezogen werden. Der Leitfaden wurde Anfang 2014 verabschiedet und soll nach 2 Jahren evaluiert werden.

-        Im Emsland gab es bisher 144 Genehmigungsverfahren für Geflügel und Schweine. Die aktuelle Prüfung erfolgt nach VDI 4250 mit Filtererlass und Anforderung von Gutachten. Ergebnis: 75% Genehmigungen, 15% Nachrüstung erforderlich und 10 % Ablehnung. Noch sind Großtieranlagen gewollt, Bioaerosole müssen deshalb weiter untersucht werden – oder umdenken (z.B. müsste über die betroffenen Tiere gesprochen werden, hier ist Änderung nötig). Im Emsland wurde vom Landkreis der Vorschlag eingebracht, GV-Einheiten mit einzubeziehen – wurde aber abgelehnt (GV=Großvieh-Einheit=500 kg Tierlebendmasse).

-        Bioaerosol ist ein luftgetragenes Partikel biologischer Herkunft. Bioaerosole sind alle im Luftraum befindlichen Ansammlungen von Partikeln, denen Pilze, Bakterien, Viren, Pollen sowie deren Stoffwechselprodukte, z.B. Endotoxine, Mykotoxine anhaften.

-        Es handelt sich also immer um einen Schadstoffcocktail, so dass kaum beweisbar ist, was letztlich zu Problemen geführt hat.

-        Leitparameter (Biologen sprechen eher von Indikatoren) sind Mikroorganismen, die für die Emission aus einer Anlage charakteristisch sind und mit derzeit zur Verfügung stehenden Probenahme- und Analysemethoden nachweisbar sind (VDI 4251 Blatt 1), hier Staphylokokken und Enterokokken.

-        Im wissenschaftlichen Versuch werden jeweils nur bestimmte Situationen untersucht. Bakterienkonzentrationen im Außenbereich sind dabei häufig unterhalb der Nachweisgrenze. Es gibt aber auch Messungen, wo 500 m vom Stall entfernt >2000 KBE/m³ Staphylokokken gemessen wurden (KBE= koloniebildende Einheit, in der die Anzahl der anzüchtbaren Mikroorganismen ausgedrückt wird). 

-        Viele Fragestellungen sind noch nicht annähernd geklärt, z.B. Untersuchungen zur Partikelgröße, Überlebensfähigkeit von luftgetragenen Bakterien u.a.m..

-        Die Wissenschaftler beklagen, dass zu wenig Geld für Personal und Entwicklung weiterer Messmethoden zur Verfügung stehen.

-        Kurzzeitspitzen werden bei der durchschnittlichen Gesamtbelastung nicht berücksichtigt. Spitzenwerte bei z.B. Ausstallungen über bis zu 3 Tage bei Großanlagen sind aber ein gesundheitliches Problem.

-        Tiergesundheit verbessern, den Einsatz von Antibiotika verringern - Beratungskonzepte in NRW sollen weiterentwickelt werden.

-        Medizinisch begründete Grenzwerte für Bioaerosole nicht ableitbar, obwohl die Probleme offensichtlich sind:

- 1/3 der Bevölkerung mit erhöhtem Risiko (Asthma, Allergien, Infektionen, Organtransplantierte, Onkologische Patienten).

- 20% der Landwirte gehen aus ihrem Beruf, weil sie (Atemwegs-)Erkrankungen haben.

- 30 % der Tierlungen sind schwer geschädigt.

 

Fazit:   Trotz 15-jähriger Forschung zu der komplexen Problematik der Bioaerosole gibt es erstaunlich wenig fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse. Viele Fragestellungen sind also noch offen. Als Konsequenz daraus sollte nach Ansicht des Expertenkreises der Vorsorgegrundsatz Anwendung finden und nicht der Beweis abgewartet werden, dass bestimmte Krankheiten von Bioaerosolen ausgelöst werden.

P.S.

Unsere Anwesenheit wurde im Schlusswort ausdrücklich vom Vorsitzenden Prof. Dr. med. Eikmann - wegen der öffentlichen Relevanz dieser komplexen Problematik- gewürdigt (Novum).