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Tierärze gegen Massentierhaltung

Nach unserer Veranstaltung mit den Tierärzten, über die wir bereits berichtet haben, schreib  Dr. Rolf Nathaus einen Leserbrief im Billerbecker Anzeiger, in dem er kritisch Stellung nahm. Einen ähnlichen Beitrag verfasste er auch auf der von der Seite wikipig.de, die über moderne Schweinehaltung aufklären möchte. Wir haben darauf geantwortet und veröffentlichen hier seinen Beitrag und unsere Entgegnung:

 

1. www.wikipig.de:

Drei Tierärzte informieren kritisch zur Massentierhaltung…

Unter diesem Motto hatte die “Bürgerinitiative zur Werterhaltung der Region Billerbeck” am 18.10.2013 eingeladen. Als Referenten waren ein ehemaliger Nutztierpraktiker, eine Amtstierärztin sowie eine mit amtlichen Aufgaben (Schlachthoftätigkeit) betraute Tierärztin eingeladen. Alle drei sind Mitglieder des Forums für verantwortbare Landwirtschaft, welches sich gegen die “industrialisierte Tierhaltung” ausspricht.

Unter den rund 40 Zuhörern waren nahezu keine Landwirte vertreten; erstaunlich, da die Veranstaltung öffentlich angekündigt war und eigentlich die Möglichkeit zu einem regen Austausch gegeben hätte. Zugegeben: “Gegner” konventioneller Tierhaltung waren in der Überzahl und eine Diskussion der Vorträge aus Zeitmangel nur in Form straffer Statements und kurzer Fragen möglich.

Eine kurze Zusammenfassung der Statements:

Den Auftakt machte der (Ex-)Praktiker: Als Gründe für die Abkehr von der Arbeit als praktizierender Tierarzt nannte er

  • eine einseitig durch ökonomische Zwänge getriebene Entwicklung der Betriebe.
  • eine zunehmende “Ent-individualisierung” der Tiere und Krankheit provozierende Leistungssteigerungen. Als Beispiel wurde die Hochleistungskuh genannt, deren nachgeburtlichen Stoffwechselprobleme nahezu unvermeidbar seien. Vor allem der Trend zu insgesamt niedriger Nutzungsdauer sei unverantwortbar.
  • eine zu straffe Organisation der Betreuungszeiten für das Einzeltier, so dass eine verantwortungsvolle Tierhaltung auf der Strecke bliebe. Die kurative Tätigkeit des Tierarztes sei zu Gunsten von Beratung und Arzneimittel-Abgabe in den Hintergrund geraten.

Die mit den Aufgaben der Überwachung betrauten Kolleginnen führten entsprechende Paragraphen des Tierschutzgesetzes aus und bedauerten die ihrer Meinung nach völlig unzureichenden Möglichkeiten der Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben: Neben fehlendem Personal würden vor allem Lobbyismus, Kumpanei und wirtschaftliche Zwänge die Aufgaben der Überwachung erschweren.

Alle Vorträge wurden in der anschließenden Diskussionsrunde als Bestätigung der im Auditorium vorherrschenden Meinung gewertet, dass die konventionelle Tierhaltung Tierschutz und Tierwohl zu Gunsten der Gewinnmaximierung ignoriere und darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Verschwendung natürlicher Ressourcen leiste.

wikipig kommentiert:

Die Veranstaltungen unternahm einen in Vortrag und Diskussion erwartungsgemäß scharfen Ritt gegen die konventionelle Landwirtschaft, bei dem Themen wie antibiotische Resistenzen (MRSA, ESBL), Tierwohl / Tierschutz (Qualzuchten, Kastration, Schwänzekupieren, Schnabel kürzen) und landwirtschaftliche Emissionen (Gülle) aufgegriffen wurden. Problematisch bis vielfach ärgerlich war, dass die Vorträge angelegt waren, stereotype Vorurteile zu bedienen. So wurde z.B. der Schwanzkannibalismus auf ein “Stroh-Mangel-Problem” reduziert, ungeachtet dass aktuell mehr als ein dutzend Studien bemüht sind, die Vielschichtigkeit der Problematik zu entwirren. Und natürlich kam man zu dem Ergebnis, dass die MRSA-Problematik in unserer Gesellschaft wesentlich von der Landwirtschaft/ Veterinärmedizin verantwortet wird. Die Feinheiten liegen hier natürlich im Detail; doch macht der aufgewühlte Laie keinen Unterschied mehr zwischen “verursacht” und “verkompliziert”, was angesichts der Tragweite des Problems aber nicht unerheblich ist.

Die Statements der mit Aufgaben der Überwachung betrauten Tierärztinnen kamen einer Bankrotterklärung des öffentlichen Veterinärwesens gleich, die so von den meisten Tierärzten in vergleichbarer Tätigkeit mit Sicherheit nicht unterschrieben würde. Und so gab es auf die Frage, ob denn heute nicht deutlich mehr Lebensmittelsicherheit, Tierwohl und Verbraucherschutz am Schlachthof gewährleistet werde als vor 10, 15 oder gar 30 Jahren auch nur wenig Widerspruch von Seiten der mit ihrer Arbeit scheinbar sehr unglücklichen TIerärztin. Mehr Fragen dieser Art hätten der Veranstaltung gut getan, zumal Schüler anwesend waren, die ein zusammenfassendes Referat zu erarbeiten hatten. Für ein knackiges Pro und Contra gab es bei dieser Zusammenkunft aber leider nur wenig Futter. Vor diesem Hintergrund erscheint die Teilnahme aller “System-Beteiligten” an öffentlichen Veranstaltungen dieser Art in Zukunft um so wichtiger – zugegeben, es kostet Nerven!

Dr. Rolf Nathaus

2. Unser Beitrag für das Forum:

Sehr geehrter Herr Dr. Nathaus,

zunächst möchten wir uns dafür bedanken, dass Sie die BIB-Veranstaltung besucht haben. Insgesamt kamen übrigens rund 100 interessierte Bürger, also mehr als doppelt so viele, wie Sie gezählt haben. Wir hätten uns ebenfalls darüber gefreut, mehr „Freunde“ der konventionellen Tierhaltung begrüßen zu dürfen, denn – auch wenn Sie uns anderes unterstellen – sind wir durchaus an einem Dialog mit allen Landwirten interessiert. Auch wir hätten uns eine umfangreichere Diskussion gewünscht, was aber aus Zeitgründen im offiziellen Teil leider nicht möglich war. Im Anschluss an die Veranstaltung gab es aber die Möglichkeit, im kleineren Kreis mit zumindest zwei der Referenten zu diskutieren. Diese Möglichkeit haben Sie jedoch durch Ihren sofortigen Aufbruch ungenutzt gelassen.

 

Zu Ihren Kritikpunkten:

Wir empfinden es als Fortschritt und in gewisser Weise sogar als Erfolg unserer Arbeit, dass Schwanzkannibalismus inzwischen allgemein als Problematik bezeichnet wird. Dies war vor nicht allzu langer Zeit keineswegs der Fall. Dass es sich dabei nicht nur um ein einseitiges “Stroh-Mangel-Problem” handelt, ist allen klar, die sich mit den Möglichkeiten zur Verbesserung der Haltungsbedingungen beschäftigen. Mit deutlich mehr Platz pro Schwein und Stroh wäre aber sicherlich schon viel gewonnen. Dies ließe sich auch in der konventionellen Schweinehaltung umsetzen.

Ob der aufgewühlte Laie in der Lage ist, einen Unterschied zu machen zwischen “verursacht” und “verkompliziert”, entzieht sich Ihrer Kenntnis genauso wie unserer. Aber auch hier können wir nur begrüßen, dass selbst Sie die Tragweite des Problems anerkennen und Handlungsbedarf sehen. Mit einseitigen Schuldzuweisungen ist dabei keinem geholfen. Der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika ist im humanmedizinischen Bereich genauso stark einzufordern wie im veterinärmedizinischen, im Nutztierbereich ebenso wie im Heimtierbereich. Nur weil sich Bürgerinitiativen bemühen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf einen der möglichen Ursachenkreise zu lenken, heißt das doch noch lange nicht, dass sie die anderen nicht genauso ernst nehmen. Und eine Beteiligung der Nutztierhaltung an diesem Problem werden auch Sie nicht von der Hand weisen.

Dass Ihre Frage, ob denn heute nicht deutlich mehr Lebensmittelsicherheit, Tierwohl und Verbraucherschutz am Schlachthof gewährleistet werde als vor 10, 15 oder gar 30 Jahren, nicht mit einem eindeutigen ja oder nein beantwortet wurde, spricht aus unserer Sicht für die Ernsthaftigkeit der Referenten, die sich eben gerade nicht in die übliche Schwarz-Weiß-Rhetorik einreihen wollten. (Was die Arbeitsbedingungen an den Schlachthöfen angeht, hätte man die Frage jedenfalls ziemlich eindeutig beantworten können, aber das war nicht das Thema.) Deshalb lässt sich Ihre Äußerung „Für ein knackiges Pro und Contra gab es bei dieser Zusammenkunft aber leider nur wenig Futter“ auch nur als Lob für die Veranstaltung interpretieren. Unser Ansinnen war nicht ein knackiges Pro und Contra mit den von Ihnen genannten stereotypen Vorurteilen, sondern eine vielschichtige Information, die möglichst viele Aspekte der tatsächlich sehr komplexen Problematik berücksichtigt. Wir hätten es in diesem Zusammenhang gerne gesehen, wenn Sie uns den in einem der Vorträge genannten hohen Anteil an Lungenbefunden bei Schweinen am Schlachthof (77% veränderte Lungen) erklärt hätten. Dieser wird in dem zitierten Beitrag (Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung, 5/2013) als ökonomisch bedeutsam und tierschutzrelevant bezeichnet. Schade, dass dieser Aspekt in Ihrer Zusammenfassung nicht auftaucht.

Die Ansicht, dass die Diskussion mit Andersdenkenden Nerven kostet, teilen wir übrigens!

Wir denken aber: Es ist die Sache wert! Im Sinne der Tiere, der Umwelt und der Menschen!

Bürgerinitiative für die Werterhaltung der Region Billerbeck

Die Sprecher Nieberg, Roos, Nachbar